Brigitte March – Petr Hrbek, Arbeiten 1983

Petr Hrbek, Arbeiten 1983 zur Ausstellung Live Time Life Time Love Time

Eine schmale Fahne, lang, auf den Boden hängend, ein Parallelogramm und ein unregelmäßiges Rechteck, durch einen schmalen Spalt getrennt oder verbunden, ein ungleichschenkliges Dreieck, der spitze Winkel nach oben gerichtet, seine Fläche mit bemalten Leinwandschleifen, unregelmäßig erhöht, seine Basis grob rechteckig eingeschnitten, dann ein gerahmtes Bild (ein kleines bemaltes und collagiertes Rechteck auf einem großen weißen Blatt Papier), ein Dreieck (Öl auf Leinwand auf einem weißen großen Papier) gerahmt, drei kleine rechteckiger Kartons collagiert und bemalt, mehrere große Flächen, quadratisch, rechteckige Leinwände, teils mit einem Keilrahmenwinkel (versteckt), teils gerollt (Vorder- und Rückseite bemalt), eine breite lange Leinwand, die sich bis weit in den Raum auf dem Boden ausbreitet, eine andere, die davor über eine Raumecke gespannt ist, ein davor gestellter gleichgroßer Rahmen, an seiner vierten Seite offen, in den Raum abgewinkelt, rundum bemalt, ein hohes bemaltes Kartonrohr, von dem ein bemalter Stab in den Raum absteht, auf der bemalten Leinwand am Boden viele längere und kürzere Stäbchen, vierkantig, bemalt, die sich auf die Mitte der Leinwand hin, zügig geordnet, ausrichten. Die Farben: gelb, rot, blau in vielen Nuancierungen, aber immer als Primärfarbe erfahrbar. Die Geste: größere, lange, breite und schmale, kürzere Pinselschwünge, die sich in mehreren Schichten überlagern und überlappen, entweder von unten nach oben in breiter Bahn gerichtet, oder konzentrisch in unregelmäßigen Schwüngen auf eine Mitte hin zulaufend. Der Malgrund: Leinwand, Karton, Holz, Blech. Die Farbe: Acryl, Öl, Dispersion.

Rechteckig bemalte Flächen hängen auf einer rechteckigen Wand, unregelmäßige Flächen hängen auf einer ebensolchen rechteckigen Wand in einem rechteckigen Raum, fünf große Teile sind übereinander geschoben bzw. gehängt, eine quadratische, über einen halben Keilrahmen gespannte Leinwand hängt diagonal über einer Ecke, eine rechteckige lange und breite Leinwand zum Teil überlappend, ein großes Rechteck überlappt das Mittelstück, das weit über den Boden in den Raum gelegt ist. Das obere Teil des Mittelstücks ist gerollt, zeigt seine bemalte Rückseite.

Das letzte auf dem Boden liegende Drittel des Mittelstücks dient als Träger von vielen bemalten Vierkantstäben, farbigen Körpern auf der Fläche, die die in der Fläche gezeigte Malrichtung aufnehmen und Fläche in Volumen übertragen. Der große Rahmen – Raster, Eingrenzung, Abgrenzung, Zeichen der Hervorhebung, der Betonung, der Abschirmung – vor der rechts en biais angeordneten Leinwand, rundum bemalt, ist nur noch lose an zwei Enden getackert, das erste Längsteil hängt frei, das dritte Längsteil ist nur lose auf dem am Boden liegenden vierten Element aufgestützt, dieser tragende Teil wiederum steht frei in einem großen Winkel vom hängenden Teil abgekehrt, auf dem breiten Bodenteil des Mittelstücks. Die Grenze nach außen ist aufgebrochen, der bemalte Rahmen weist auf sich selbst zurück, als Anordnung von verschieden langen, bemalten Körpern, er stützt kein Bild, er ist Bild, der umgrenzte Raum ist leer, bietet den Durchblick auf eine ihm gleich bemalte Fläche – Volumen und Fläche korrespondieren durch das Mittel der Malerei, nicht als Schein, sondern real. Grund und Figur stehen sich gegenüber. Die ganze Konstruktion zeigt mit den Mitteln der Malerei ihre Elemente – Tradition reflektiert durch den Maler von heute, der sich seines Metiers bedient, der zeigt. Dann die Geste der Expressivität, kühl, statisch, jeder Pinselstrich ein Semikolon in der Sprache der Malerei – nicht expressiv, sensibel, leidenschaftlich, existentiell, sondern wie auf einer arretierten Filmspule, Schritt für Schritt, Schicht für Schicht nachprüfbar die einzelnen Schwünge, jeder für sich präzisierend, dass Malerei sich zusammensetzt zu einer Textur, entstanden aus vielen verschiedenen Entscheidungen – Richtung, Größe, Schwung, geraden und geschwungenen Linien, groben oder kleineren Flächen, Umrissen, Konturen. Das Ganze ein montierter Farbraum, montiert aus Flächen und Volumina, Träger und Getragenen, ein begehbarer farbiger Raum. Zeichen der Tradition aus der hergebrachten Ordnung und Unterordnung gelöst, ein jedes für sich in seiner Verschiedenheit gleichwertig, das reale Objekt seine eigene Tatsache, ein Ganzes bildend, jederzeit auflösbar, ummontierbar, veränderbar, der Zusammenhang ist locker, kein Zwang, alles zeigt eine momentane Entscheidung der Zuordnung, nichts Endgültiges – ein Zwischenstadium. Eine Tatsache, die morgen anders aussehen kann.

Der architektonische Regelraum wird benutzt von Bildern, die sich ihres angestammten Platzes entledigt haben, Volumen beanspruchen, vordringen in die dritte Dimension, ohne ihre Flachheit zu verleugnen. Ein Ganzes aus Teilen stellt einen Anspruch, den das einzelne Element so nicht ausfüllen kann.

Angenommen, der Betrachter akzeptiert Fläche und Oberfläche als Grundgegebenheiten der Malerei, angenommen, er lässt sich darauf ein, dass Malerei eine Tätigkeit zuerst und dann das Zeigen auf einer Fläche ist, dann präsentiert Petr Hrbek die Natur einer Tatsache an einem Ding: eine künstlerische Vorstellung präsentiert Mittel des Metiers. Frei gewählte Flächen, Duktus, Leinwand ergeben nach der Arbeit, die offen als Rhythmus dargelegt wird, ein Drittes, das Andere, Objekt seiner Vorstellung, das die Elemente der Tradition präsentiert, neu überdacht, in einen anderen Zusammenhang gestellt. Nicht die abstrahierte, in irgend einem „Stil“ abgebildete Wirklichkeit stellt er vor, sondern die Grundelemente seines Metiers, die Geste, das Machen, nicht die Illusion des Abgebildeten, sondern Farben verbunden mit einer Fläche durch den Vorgang des Malens. Dieses Malen liegt offen vor unseren Augen, nachvollziehbar in jedem Schwung. Wenn der Betrachter nun auch noch akzeptiert, dass Zeit ein Kontinuum ist, dann kann er diese Momente in jedem Pinselstrich, der das Machen nicht verleugnet, sondern deren Aufeinanderfolge das Machen als Tätigkeit in der Zeit demonstriert, den Prozess nachvollziehen. Bemalen der Fläche, Konstruktion der Flächen zu einem Farbraum, die Zuordnung der einzelnen Unités zu einer Ganzheit als räumlichem Nebeneinander, jedes Teil ein Ganzes, das innerhalb der Gesamtkonstruktion das Prinzip der Komposition demonstriert.

Sollte der Betrachter sich auch noch auf die Farbigkeit einlassen, die Petr Hrbek zur Diskussion stellt, so kann er Gelb gleichsetzen mit Sonne, Strahlen, Heiterkeit etc., Blau mit Ruhe, Statik, auch Azur, Meer und daraus folgender tief oder fließend, Rot mit Glut, Feuer, heiß, Leidenschaft – Dynamik, auch diese interpretatorische Freiheit tragen diese Flächen. Petr Hrbek zeigt auch diese Wirkung von Farben, Prägungen, die in unserem Bewusstsein, wie ein Pawlowscher Effekt verankert sind, jeweils gleich erfahrbar, unserer sogenannten Subjektivität oder Individualität ein Schnippchen schlagend. Seine Flächen sind Statik, die Dynamik vorgaukelt oder das Zeichen von Dynamik, fixiert und eingefroren im Raster der gemalten Textur.

Petr Hrbek zeigt, spielt, demonstriert. Er stellt nicht dar. Kein literarischer Kontext drängt die Arbeit des Malens in den Hintergrund. Seine Malerei ist konkret. Auf einer konkreten Fläche oder Oberfläche, in einem konkret konstruierten Farbraum wird das uralte Prinzip von Haupt- und Nebensachen demonstriert, aber jede Nebensache ist ein Subjekt, gleichwertig dem anderen. Malerei nicht als Transportmittel für Moral, Literatur etc., keine „tiefe“ Bedeutung, kein erhobener Zeigefinger, keine Inszenierung eines hehren Anspruchs. Malerei als Tätigkeit, als gelebte Zeit, als Tun, als Zweck. Malerei, ihr Ort, ihr Moment wird uns vorgeführt. Ein Erstes: Gedanke, Vorstellung; ein Zweites: das Metier (Leinwand, Pinsel, Farbe, Rahmen) verbinden sich durch Tätigkeit in ein Drittes, das Objekt. Hrbek zeigt malerisches Handeln ohne Überbewertung eines seiner Elemente. Er demonstriert die Klassifikation möglicher Flächen, untersucht ihre Beziehung zum Raum (Architektur) demonstriert die Beziehung von tradierten Mitteln ohne sich in der Spekulation illusionärer Darstellung zu verlieren. Sein Vorschlag spricht von Malerei, ihren Bestandteilen, ihren Grundlagen.

Der Betrachter darf nicht nur ein bisschen mitspielen, identifizieren oder projizieren, der Macher sagt ihm nicht, was er verstehen soll. Er wird eingeladen zum Sehen, Schauen. Hrbek inszeniert sich nicht selbst als Autor, seine Arbeiten bieten Offenheit, nachprüfbare Elemente, die visuellen Mittel werden nicht für eine nicht visuelle Botschaft missbraucht, sondern werden eingesetzt als das, was sie sind. Aus all dem ergibt sich, dass seine Zeichen nur sich selbst darstellen. Ihre Relation untereinander ist eine gleichwertige. Die Referenzen sind ausgeglichen.

Brigitte March, Dezember 1983