Ruth Händler im Katalog „Petr Hrbek 1987-1990 – eine Auswahl“, W. Asperger Gallery, CH-Zug

Ruhm der Räume

Fast ist es wie im richtigen Leben: Höhenflüge und Tiefpunkte, Klarheit und Nebel, Hitze und Kälte, Bewegung und Starre, Chaos und System begegnen einander in den Pinselstrichen von Petr Hrbek die vom Nichts zum Alles streben und vom Einen, Begrenzten zur Endlosigkeit der Unzähligen.

Fast wäre es wie im richtigen Leben: wenn das Leben jeden Pinselstrich-Moment mit solcher Intensität auszukosten wäre – ohne Einschränkungen, ohne Alltagsregeln, ohne Entscheidungsmuster, ohne Wertungen.

So aber triumphiert die Malerei, indem sie der vitalen Existenz der Gegensätze Geltung verschafft und die explosive Spannung feiert, die aus der Konfrontation erwächst. „Mir fällt mein Spielzeug in die Kanalisation oder die Kanalisation fällt auf mein Spielzeug“ hat Petr Hrbek eines seiner Bilder betitelt und damit auch seine Philosophie formuliert, die sich in der Malerei widerspiegelt: Oben und unten werden austauschbar, wenn die Schere im Kopf und im Herzen nicht wertet. Nicht auf die Hierarchien und Unterschiede kommt es an, sondern auf die mögliche Verbindung aller Phänomene und das Zischen, das dabei entsteht.

Die sprudelnde, strudelnde, stechende und splitternde Wildheit, die einem aus den Bildern entgegenkommt, ist ein sehr bewusstes „Fest der Täuschung“. Hrbek ist kein wilder Ausdrucksmaler, der in seinen Kompositionen auf ungestüme, überwältigende Effekte spekuliert und dabei Pinsel und Farben als Mittel zum Zweck benutzt. Er ist vielmehr ein wacher Beobachter, der jedem Pinselstrich die ihm eigene Lebendigkeit lässt und ihm im dichten Geflecht der Mitstreiter zur größtmöglichen Existenzsteigerung treibt. Die Lebenskämpfe und Überlebenskämpfe der Farbstriche erschaffen eine eigenartige, sehr konkrete Welt voller Irritationen und Zaubermomente. In ihr kann sich alles ereignen, was strömt, wächst, strahlt und sich ausdehnt bis in die Grenzbereiche hinein. Zum „Ruhm der Räume“ brechen die Flächen auf, kehren das Tiefste zuoberst, holen das Dunkel ans Licht – und schließen mit dem nächsten Atemzug, dem nächsten Wimpernschlag wieder zu einem Feld flimmernder, funkelnder Reflexe.

Wie sich in der Malerei alles ereignen kann, kann sich die Malerei auf allem ereignen: Über Bretter und Planen, über Kleidungsstücke, Aktendeckel und eine Hausfassade hat Hrbek sie in seinen Installationen fließen lassen. Durch die fünfte Wand, den Bildschirm, ist die „Natura forte“ seiner Kunst wieder ins Zimmer zurückgeflutet, wo sie einige Jahre später auf den „Wärmer“ trifft, der sich vor 30 Quadratmetern bemalter Energiefläche behautet und auf ähnliche Weise wie der Mini-Ausschnitt im Riesenpassepartout die Frage aufwirft, ob das kleine Format wirklich unwichtiger ist als das große und wer das entscheiden soll.

Die Farbströme, die einst ausufernd ihre Umgebung umarmten, um sie mitzureißen, schießen heute pfeilgerade durch die Luft, aus der weißen Wand ins Gemälde und retour. Als Versorgungsleitungen der Phantasie in dem von Hrbek gestalteten Zimmer des ‚Basler Teufelhofs’ geben sie dem Hotelgast die Täuschung mit in die Träume. Wogen bunte Gräser über seinem Kopf oder wird ein Feuerwerk abgebrannt? Braut sich ein stahlblaues Gewitter zusammen oder irrlichtern die Kobolde durch ihre Märchenhöhle? Regnet es Weingummis oder explodieren ferne Sonnen? Alles scheint zum Greifen nahe in dieser Malerei, die weder den ausgelassenen Schwung noch die geometrische Setzung verleugnet, weder die barocke Sinnlichkeit noch die glasklare Konstruktion, weder die Kunstgeschichte noch ihre eigene Geschichte, die sich in keine Schublade einordnen lässt (aber die Schublade eines Sperrmüll-Tischchens nicht als Untergrund verschmäht) – und bei aller verwirrender, bunt rotierender Vielfalt doch zielgerichtet ist: auf die große Freiheit im Kopf und das Abenteuer des Lebens.

Für den Vollblutmaler Petr Hrbek ist das Bildermachen „nichts anders als eine Bewegung“, eine besonders konzentrierte Auseinandersetzung mit der Existenz. Dass die Malerei dem Leben nicht die Kraft nimmt, sondern ihm die Bälle zuspielt, darüber wacht, nicht weniger anspruchsvoll, der Lebenskünstler Hrbek.

Allen, die jemals mit ihm gefeiert haben und in Zukunft mit ihm feiern werden, sei sein Geheimnis verraten: „Die Fähigkeit, andere Leute zum Lachen zu bringen, ist teuer erkauft – mit künstlerischer Tätigkeit“.

Ruth Händler
Stuttgart, 1990